Bei dem asiatischen/sibirischen Streifenhörnchen ist es völlig normal, wenn es zum Herbst hin aggressiver wird, dies ist auch verbunden mit deutlich vermehrten Bunkern, man nennt es Herbsteln. In der Natur würde Hörnchen nun für den Winter seinen Vorrat anlegen, da das Futter immer knapper wird mit den sinkenden Temperaturen. Da jedes Hörnchen so viel wie möglich sammeln will, verteidigt es sein Revier natürlich - mitunter auch bis aufs Blut, schließlich geht es um das Überleben des Winters. Auch der Vorrat muss beschützt werden, er ist sehr wichtig für das Hörnchen!
'Otto Normalhörnchen' ist zu dieser Zeit schon etwas ungenießbarer, man sollte nur für die dringlichsten Sachen in die Voliere eingreifen (Futter, Wasser, Toilettenreinigung) und dem Hörnchen etwas mehr Raum um sich selbst geben, wenn es im Freilauf ist.
Werden die Tage wieder länger, entspannt sich die Lage wieder und der gestreifte Kobold ist wieder ganz entspannt.
Aber was ist, wenn das Hörnchen sich nicht wieder entspannt? Oder irgendwie nie entspannt war?
Ich habe drei Hörnchenhalter interviewt, die ein Hörnchen mit ziemlich hohem Aggressionspotenzial haben/hatten.
Gelchen über Brösel
Wann zeigten sich zum ersten Mal die
Aggressionen von Brösel?
"Es ist schwer zu sagen. Im Zoogeschäft
war damals ein Hinweis an seinem Käfig: „Vorsicht beisst“
Als er dann bei mir einzog, brauchte
ich sechs Wochen, bis er am Käfiggitter ruhig blieb und nicht mehr
aggressiv reagierte. Die ersten Wochen nach seinem Freilauf verliefen
auch soweit ganz gut.
Und nach sechs Wochen friedlichem
Zusammenlebens schwenkte das um. Ich habe dann im Internet
recherchiert und las da das erste Mal über die Herbstaggressionen
bei Hörnchen."
Wie war das für dich?
"Als es losging, war ich erst einmal
erschrocken und auch etwas enttäuscht. Nachdem ich erkannt hatte,
dass ich einen Herbstkämpfer hatte, wollte ich mich dem Problem
stellen. Damals war ich noch nicht so informiert wie heute. Ich bin
nicht viel im Internet gewesen und kannte noch keine Foren und deren
Hilfestellungen. Das damalige GU-Buch war auch keine wirkliche Hilfe.
Ich hatte früher schon andere Tiere
wie z.B. Gänse und habe mich immer der Situation angepasst. Von
daher war ich optimistisch, dass ich das mit Brösels
Herbstaggressionen auch noch hinbekomme und hoffte, dass er nicht auf
ewig eingesperrt sein musste."
Wie sah euer Alltag aus – wie bist
du mit Brösels Aggression umgegangen?
"Im ersten Jahr dauerte der Zustand gute vier Monate. Ich vermute, er war gerade so richtig in den Flegeljahren
und musste sich austoben. Jahre später wurde mir klar, dass seine
Aggressionen bei meinem damaligen Lebenspartner stärker waren als
bei mir. Als Brösel und ich dann alleine zusammenlebten dauerten
diese Aggressionen höchstens sechs Wochen.
Ich hatte mich im ersten Jahr damit
abgefunden, dass er auch mal raus musste. Um mich zu schützen, hatte
ich bei seinem Freilauf immer Lederhandschuhe getragen. Irgendwann
war ich so fit, dass ich mit Lederhandschuhen stricken konnte. Mein
damaliger Partner hat sich den Problemen auch immer gestellt und
alles versucht, den Knirps laufen zu lassen.
Mit den Jahren konnte ich immer besser
damit umgehen. Ich merkte rechtzeitig, wann es losging mit der
Aggression. Mein Motto war dann immer: einen Biss hat er frei, dann
geht es in die Voliere, bis er wieder lieb ist. Natürlich fand ich es
immer schade, dass er so bösartig in der Zeit war. Den Rest des
Jahres waren wir so ein tolles Team und da sind diese sechs Wochen schon
schwergefallen.
Täglich habe ich den Stand seiner
aggressiven Tobereien getestet. In der Zeit brauchte ich mich der
Voliere nur zu nähern und er sprang wie verrückt gegen das Gitter.
Wenn er drei Tage hintereinander friedlich blieb, habe ich ihn dann
wieder raus gelassen. Anfangs zur Sicherheit immer mit den
Handschuhen und dann auch mit ruhigen Bewegungen. Es waren dann sehr
angespannte Situationen, wer lässt sich schon gerne von einem
gefährlichen Nagetier beißen?
Nachdem ich die Hoernchenvilla.de im
Internet gefunden hatte und mich mit Leidensgenossen austauschen
konnte, war es etwas leichter. Meine Erlebnisse konnte ich dann auch
beschreiben und mit meinem Humor andere Herbstmonsterhalter
aufmuntern und auch mal zum Lachen bringen.
Selbstverständlich ist es nicht
witzig, von so einem kleinen Nager angegriffen zu werden und die
Bisse sind nicht zu unterschätzen. Aber andererseits zeigte es auch,
dass Brösel eine Kämpfernatur war und in der freien Wildbahn hätte
er sein Leben bestimmt gut schützen können.
Ich habe immer akzeptiert, dass die
Aggression im Herbst zu seiner Natur gehörte. Davon bedeutete mein
Schlumpf mir nicht weniger. Er war ein toller Kerl, der mir auch mit
dieser Eigenschaft mein Leben bereichert hatte."
Gab es Momente, in denen du
überfordert warst mit seinem Verhalten?
"Überfordert war ich damit nur sehr
begrenzt. Ich konnte damit umgehen und hatte das notwendige
Verständnis für Brösel. Er hat es ja nicht persönlich gemeint,
sondern sein Überleben sichern wollen.
Ich hatte
schließlich kein Stofftier als Hausgenossen, sondern eine starke
Persönlichkeit mit eigenem Willen."
Eva über Cookie
Wie war es für dich, als du wissentlich Cookie, ein höchst aggressives Hörnchen, zu dir geholt hast?
"Ich war der festen Überzeugung dass sie ruhiger wird, wenn sie
artgerecht gehalten wird, daher habe ich mir da nicht so viele
Gedanken gemacht. Ich dachte, im schlimmsten Fall ist sie im Herbst
aggressiv und ansonsten kann man sich mit ihr arrangieren. Vor allem
wollte ich sie weiter vermitteln und so, wie die anderen Hörnchen, nur
übergangsweise aufnehmen. Zudem musste es schnell gehen. Ich hatte
nicht viel Zeit zu überlegen. Ihre ehemalige Beisitzerin wollte sie
nicht behalten und nicht operieren lassen – sie wollte sie
einschläfern lassen."
Wie waren die ersten Wochen mit Cookie?
"In den ersten paar Tagen war sie noch ruhig, aber ihre Beinamputation
war auch erst ein paar Tage her. Wir haben sie zunächst in einer
niedrigen Voliere untergebracht, weil wir dachten, sie kann nicht so
gut klettern. Hier hat sie uns schnell das Gegenteil bewiesen! Zudem
zeigte sie nach ein paar Tagen ihre Aggressionen. Wir haben dann eine
Voliere für sie gebaut. Hier kommt sie super klar und springt, als
hätte sie alle vier Beine."
Wie sieht heute euer Alltag aus - wie gehst du mit Cookie und ihrer
Aggressivität um?
"Cookie darf fast jeden Tag raus, wir haben alles so optimiert, dass
wir die Tür von außen auf- und zuziehen können. Sie hat gelernt
auf Kommando rein zu gehen – dann gibt es zur Belohnung
Pinienkerne. Um sie füttern zu können haben wir eine kleine Box an
die Voliere angebaut. Mittels einer Schleuse kann man sie in der Box
einsperren oder auch ausperren und kann so alles nötige erledigen.
Für den Frühjahr plane ich nochmals einen Angriff auf sie. Ich habe
mir bereits einen Helm gekauft und werde schauen ob ich sie (gut
geschützt) doch noch davon überzeugen kann, dass wir ihr nichts
böses wollen."
Bereust du es, Cookie aufgenommen zu haben?
"Ja und Nein :-)
Sie ist eine super intelligente Dame und ich liebe
sie über alles. Trotzdem hätte ich sie lieber abgegeben, um den
Platz für ein Pflege-Streifi zu haben, um es dann immer wieder weiter
zu vermitteln. Aber Cookie ist einfach ein ganz spezieller Fall und
ich wüsste nicht, an wen ich sie vermitteln sollte."
Kuba über Fritz
Fritz
kam ja direkt von seiner Kinderstube zu dir, wann fiel dir zum ersten
Mal auf, dass seine Aggressionen den natürlichen Rahmen sprengten
und wie äußerte sich das?
"Vom
ersten Tag an das war schon so Grundstimmung
- aber das ging noch. Dann kam das Herbsteln dazu und da war
vorbei. Das ging immer recht lange, bis Ende April und im September
ist er wieder wie eine V1 gestartet...
Fritz
hat richtig gebissen und ständig versucht, mein Revier zu
annektieren. Wenn er sich in meiner Hand verbissen hat, also richtig
wie ein Hund, der nicht mehr losgelassen hat, hieß es „Schmerz
ertragen und versuchen das Tier vorsichtig von der Hand zu lösen“.
Leichtes und kontinuierliches Pusten auf die Nasenspitze oder eine
kleine Wasserpistole mal vor die Pfoten bespritzen hat sich bewährt.
Eine Abwehr-Wischbewegung hätte ihn wahrscheinlich den Kopf
gekostet. Und es war teilweise sehr schmerzhaft.
Meine
Schutzausrüstung waren Lederhandschuhe, feste Schuhwerk und immer
genug Abstand mit dem Kopf.
In
der Herbstel-Phase war das noch ein Zacken schärfer, er knurrte und
knirschte dabei mit den Zähnen, sprang von innen gegen das Gitter
seiner Voliere oder verbiss sich darin. War er draußen, so biss er
mir in Hände und Füße. Dazu kam noch dieser irre Blick. Um das
Risiko für mich und Fritz zu reduzieren, quasi zum Schutz für uns
beide, blieb nur die Sicherheitsverwahrung von Fritzi."
Wie
haben sich die Aggressionen auf euren gemeinsamen Alltag und eure
Bindung zueinander ausgewirkt?
"Herausfordernd.
Der Aufbau unserer Bindung war schwierig, da ich nur die vier Monate
außerhalb der Voliere mit ihm arbeiten konnte.
Kleine
Revierkämpfe gab es in der Zeit auch, habe meinen Bereich aber
erfolgreich verteidigt! In den restlichen neun Monaten, die er
eingesperrt war, habe ich viel daran gearbeitet ihn zu
entsensibilisieren, Geräusche und das Wichtigste: Nähe."
Du
hast dich schließlich dazu entschlossen, Fritz kastrieren zu lassen
– was waren deine Gedanken dazu und wie verlief der Eingriff?
"Der
Gedanke, der mich dazu getrieben hat, war: „Wie kann ich meinem
kleinen Erdnuckel helfen?“
Er
tat mir leid, die ganze Zeit drin und immer auf 200, so sollte er
nicht die nächsten zehn Jahre leben. Also habe ich überlegt, wie
ich da etwas Wind rausbekommen kann, nicht das Herbsteln an sich, das
geht natürlich nicht und sollte auch nicht sein, aber eben die
restliche Zeit. Ich kam dann recht schnell zur Kastration, da es
jetzt nicht viele Möglichkeiten gab.
Das
Risiko ist bei der richtigen Anästhesie recht gering, die Kastration
ist keine komplizierte OP.
Das
Risiko war daher recht überschaubar, mit der richtigen Arzt. Und die
Aussicht auf Verbesserung schätzte ich recht groß ein. Der Eingriff
lief reibungslos."
Wie
schaut heute euer Alltag im Vergleich vor der OP aus? Bereust du
diesen Schritt oder würdest du es wieder tun?
"Fritz
herbstelt wie fast alle Hörnchen, aber nur noch drei bis vier Monate
also genau das Gegenteil zum Anfang. Alltag? Haha! Da gibt’s immer
was Neues bei der Streifen-Polizei!
Aber
jetzt nach fast fünf Jahren sind wir die besten Freunde, es war ein
langer Weg bis heute. Ob er noch beißt in der Herbst-Phase kann ich
nicht sagen und ich werde es auch nicht ausprobieren, aber vermutlich
schon... ;) Ich respektiere sein artbedingtes Verhalten und werde ihn
in dieser Zeit nicht unnötig stressen. Er versucht ja nur sein
Revier und sein Futter zu verteidigen und das respektiere ich. Seinen
irren Blick in dieser Zeit hat er übrigens behalten...
Sonst
ist Fritz mittlerweile ein sehr liebes und zutrauliches Hörnchen
geworden. Zwicken beim Spielen gehört dazu, aber ein richtiges
Zwicken ist es nicht. Eher ein Festhalten mit seinen Zähnen, was
auch in keinsterweise bösartig ist.
Im
Gegensatz zu früher hat Fritz durch die Kastration zwar seine Bälle
verloren, aber dafür vieles dazugewonnen. Er hat über das Jahr
gesehen viel mehr Auslauf, ist wesentlich entspannter geworden.
Aber
das alles möchte ich nicht ausschließlich von der Kastration
abhängig machen. Sie hat gewiss einen großen Teil dazu beigetragen,
aber die andere Hälfte liegt bei uns Haltern.
Wir
müssen wissen, wo die Grenzen von unserem Tier sind, aber auch das
Tier muss wissen, wo seine Grenzen sind.
Wenn
diese gegenseitig geklärt sind und wir die des Tieres respektieren,
wird es auch das Tier tun. Kleine Ausreißer gibt es dabei aber
immer, z.b. Blumentöpfe – Ausnahmen bestätigen die Regel ;)"