Sonntag, 1. März 2020

Thema Aggression beim Streifenhörnchen

Dieses mal geht es um ein Thema, welches schnell zur Gefahr für Halter und Tier werden kann: Aggression.

Bei dem asiatischen/sibirischen Streifenhörnchen ist es völlig normal, wenn es zum Herbst hin aggressiver wird, dies ist auch verbunden mit deutlich vermehrten Bunkern, man nennt es Herbsteln. In der Natur würde Hörnchen nun für den Winter seinen Vorrat anlegen, da das Futter immer knapper wird mit den sinkenden Temperaturen. Da jedes Hörnchen so viel wie möglich sammeln will, verteidigt es sein Revier natürlich - mitunter auch bis aufs Blut, schließlich geht es um das Überleben des Winters. Auch der Vorrat muss beschützt werden, er ist sehr wichtig für das Hörnchen!

'Otto Normalhörnchen' ist zu dieser Zeit schon etwas ungenießbarer, man sollte nur für die dringlichsten Sachen in die Voliere eingreifen (Futter, Wasser, Toilettenreinigung) und dem Hörnchen etwas mehr Raum um sich selbst geben, wenn es im Freilauf ist.
Werden die Tage wieder länger, entspannt sich die Lage wieder und der gestreifte Kobold ist wieder ganz entspannt.

Aber was ist, wenn das Hörnchen sich nicht wieder entspannt? Oder irgendwie nie entspannt war?

Ich habe drei Hörnchenhalter interviewt, die ein Hörnchen mit ziemlich hohem Aggressionspotenzial haben/hatten.


Gelchen über Brösel


Wann zeigten sich zum ersten Mal die Aggressionen von Brösel?
"Es ist schwer zu sagen. Im Zoogeschäft war damals ein Hinweis an seinem Käfig: „Vorsicht beisst“
Als er dann bei mir einzog, brauchte ich sechs Wochen, bis er am Käfiggitter ruhig blieb und nicht mehr aggressiv reagierte. Die ersten Wochen nach seinem Freilauf verliefen auch soweit ganz gut.
Und nach sechs Wochen friedlichem Zusammenlebens schwenkte das um. Ich habe dann im Internet recherchiert und las da das erste Mal über die Herbstaggressionen bei Hörnchen."

Wie war das für dich?
"Als es losging, war ich erst einmal erschrocken und auch etwas enttäuscht. Nachdem ich erkannt hatte, dass ich einen Herbstkämpfer hatte, wollte ich mich dem Problem stellen. Damals war ich noch nicht so informiert wie heute. Ich bin nicht viel im Internet gewesen und kannte noch keine Foren und deren Hilfestellungen. Das damalige GU-Buch war auch keine wirkliche Hilfe.
Ich hatte früher schon andere Tiere wie z.B. Gänse und habe mich immer der Situation angepasst. Von daher war ich optimistisch, dass ich das mit Brösels Herbstaggressionen auch noch hinbekomme und hoffte, dass er nicht auf ewig eingesperrt sein musste."

Wie sah euer Alltag aus – wie bist du mit Brösels Aggression umgegangen?
"Im ersten Jahr dauerte der Zustand gute vier Monate. Ich vermute, er war gerade so richtig in den Flegeljahren und musste sich austoben. Jahre später wurde mir klar, dass seine Aggressionen bei meinem damaligen Lebenspartner stärker waren als bei mir. Als Brösel und ich dann alleine zusammenlebten dauerten diese Aggressionen höchstens sechs Wochen.
Ich hatte mich im ersten Jahr damit abgefunden, dass er auch mal raus musste. Um mich zu schützen, hatte ich bei seinem Freilauf immer Lederhandschuhe getragen. Irgendwann war ich so fit, dass ich mit Lederhandschuhen stricken konnte. Mein damaliger Partner hat sich den Problemen auch immer gestellt und alles versucht, den Knirps laufen zu lassen.
Mit den Jahren konnte ich immer besser damit umgehen. Ich merkte rechtzeitig, wann es losging mit der Aggression. Mein Motto war dann immer: einen Biss hat er frei, dann geht es in die Voliere, bis er wieder lieb ist. Natürlich fand ich es immer schade, dass er so bösartig in der Zeit war. Den Rest des Jahres waren wir so ein tolles Team und da sind diese sechs Wochen schon schwergefallen.
Täglich habe ich den Stand seiner aggressiven Tobereien getestet. In der Zeit brauchte ich mich der Voliere nur zu nähern und er sprang wie verrückt gegen das Gitter. Wenn er drei Tage hintereinander friedlich blieb, habe ich ihn dann wieder raus gelassen. Anfangs zur Sicherheit immer mit den Handschuhen und dann auch mit ruhigen Bewegungen. Es waren dann sehr angespannte Situationen, wer lässt sich schon gerne von einem gefährlichen Nagetier beißen?
Nachdem ich die Hoernchenvilla.de im Internet gefunden hatte und mich mit Leidensgenossen austauschen konnte, war es etwas leichter. Meine Erlebnisse konnte ich dann auch beschreiben und mit meinem Humor andere Herbstmonsterhalter aufmuntern und auch mal zum Lachen bringen.
Selbstverständlich ist es nicht witzig, von so einem kleinen Nager angegriffen zu werden und die Bisse sind nicht zu unterschätzen. Aber andererseits zeigte es auch, dass Brösel eine Kämpfernatur war und in der freien Wildbahn hätte er sein Leben bestimmt gut schützen können.
Ich habe immer akzeptiert, dass die Aggression im Herbst zu seiner Natur gehörte. Davon bedeutete mein Schlumpf mir nicht weniger. Er war ein toller Kerl, der mir auch mit dieser Eigenschaft mein Leben bereichert hatte."

Gab es Momente, in denen du überfordert warst mit seinem Verhalten?
"Überfordert war ich damit nur sehr begrenzt. Ich konnte damit umgehen und hatte das notwendige Verständnis für Brösel. Er hat es ja nicht persönlich gemeint, sondern sein Überleben sichern wollen.
Ich hatte schließlich kein Stofftier als Hausgenossen, sondern eine starke Persönlichkeit mit eigenem Willen."

Wer mehr über Brösels Herbst-Abenteuern erfahren möchte, kann dies hier tun! :)


Eva über Cookie
 
 
Wie war es für dich, als du wissentlich Cookie, ein höchst aggressives Hörnchen, zu dir geholt hast?
"Ich war der festen Überzeugung dass sie ruhiger wird, wenn sie artgerecht gehalten wird, daher habe ich mir da nicht so viele Gedanken gemacht. Ich dachte, im schlimmsten Fall ist sie im Herbst aggressiv und ansonsten kann man sich mit ihr arrangieren. Vor allem wollte ich sie weiter vermitteln und so, wie die anderen Hörnchen, nur übergangsweise aufnehmen. Zudem musste es schnell gehen. Ich hatte nicht viel Zeit zu überlegen. Ihre ehemalige Beisitzerin wollte sie nicht behalten und nicht operieren lassen – sie wollte sie einschläfern lassen."

Wie waren die ersten Wochen mit Cookie?
"In den ersten paar Tagen war sie noch ruhig, aber ihre Beinamputation war auch erst ein paar Tage her. Wir haben sie zunächst in einer niedrigen Voliere untergebracht, weil wir dachten, sie kann nicht so gut klettern. Hier hat sie uns schnell das Gegenteil bewiesen! Zudem zeigte sie nach ein paar Tagen ihre Aggressionen. Wir haben dann eine Voliere für sie gebaut. Hier kommt sie super klar und springt, als hätte sie alle vier Beine."

Wie sieht heute euer Alltag aus - wie gehst du mit Cookie und ihrer Aggressivität um?
"Cookie darf fast jeden Tag raus, wir haben alles so optimiert, dass wir die Tür von außen auf- und zuziehen können. Sie hat gelernt auf Kommando rein zu gehen – dann gibt es zur Belohnung Pinienkerne. Um sie füttern zu können haben wir eine kleine Box an die Voliere angebaut. Mittels einer Schleuse kann man sie in der Box einsperren oder auch ausperren und kann so alles nötige erledigen.
Für den Frühjahr plane ich nochmals einen Angriff auf sie. Ich habe mir bereits einen Helm gekauft und werde schauen ob ich sie (gut geschützt) doch noch davon überzeugen kann, dass wir ihr nichts böses wollen."


Bereust du es, Cookie aufgenommen zu haben?
"Ja und Nein :-)
Sie ist eine super intelligente Dame und ich liebe sie über alles. Trotzdem hätte ich sie lieber abgegeben, um den Platz für ein Pflege-Streifi zu haben, um es dann immer wieder weiter zu vermitteln. Aber Cookie ist einfach ein ganz spezieller Fall und ich wüsste nicht, an wen ich sie vermitteln sollte."


Kuba über Fritz


Fritz kam ja direkt von seiner Kinderstube zu dir, wann fiel dir zum ersten Mal auf, dass seine Aggressionen den natürlichen Rahmen sprengten und wie äußerte sich das?
"Vom ersten Tag an das war schon so Grundstimmung - aber das ging noch. Dann kam das Herbsteln dazu und da war vorbei. Das ging immer recht lange, bis Ende April und im September ist er wieder wie eine V1 gestartet...
Fritz hat richtig gebissen und ständig versucht, mein Revier zu annektieren. Wenn er sich in meiner Hand verbissen hat, also richtig wie ein Hund, der nicht mehr losgelassen hat, hieß es „Schmerz ertragen und versuchen das Tier vorsichtig von der Hand zu lösen“. Leichtes und kontinuierliches Pusten auf die Nasenspitze oder eine kleine Wasserpistole mal vor die Pfoten bespritzen hat sich bewährt. Eine Abwehr-Wischbewegung hätte ihn wahrscheinlich den Kopf gekostet. Und es war teilweise sehr schmerzhaft.
Meine Schutzausrüstung waren Lederhandschuhe, feste Schuhwerk und immer genug Abstand mit dem Kopf.
In der Herbstel-Phase war das noch ein Zacken schärfer, er knurrte und knirschte dabei mit den Zähnen, sprang von innen gegen das Gitter seiner Voliere oder verbiss sich darin. War er draußen, so biss er mir in Hände und Füße. Dazu kam noch dieser irre Blick. Um das Risiko für mich und Fritz zu reduzieren, quasi zum Schutz für uns beide, blieb nur die Sicherheitsverwahrung von Fritzi."


Wie haben sich die Aggressionen auf euren gemeinsamen Alltag und eure Bindung zueinander ausgewirkt?
"Herausfordernd. Der Aufbau unserer Bindung war schwierig, da ich nur die vier Monate außerhalb der Voliere mit ihm arbeiten konnte.
Kleine Revierkämpfe gab es in der Zeit auch, habe meinen Bereich aber erfolgreich verteidigt! In den restlichen neun Monaten, die er eingesperrt war, habe ich viel daran gearbeitet ihn zu entsensibilisieren, Geräusche und das Wichtigste: Nähe."


Du hast dich schließlich dazu entschlossen, Fritz kastrieren zu lassen – was waren deine Gedanken dazu und wie verlief der Eingriff?
"Der Gedanke, der mich dazu getrieben hat, war: „Wie kann ich meinem kleinen Erdnuckel helfen?“
Er tat mir leid, die ganze Zeit drin und immer auf 200, so sollte er nicht die nächsten zehn Jahre leben. Also habe ich überlegt, wie ich da etwas Wind rausbekommen kann, nicht das Herbsteln an sich, das geht natürlich nicht und sollte auch nicht sein, aber eben die restliche Zeit. Ich kam dann recht schnell zur Kastration, da es jetzt nicht viele Möglichkeiten gab.
Das Risiko ist bei der richtigen Anästhesie recht gering, die Kastration ist keine komplizierte OP.
Das Risiko war daher recht überschaubar, mit der richtigen Arzt. Und die Aussicht auf Verbesserung schätzte ich recht groß ein. Der Eingriff lief reibungslos."


Wie schaut heute euer Alltag im Vergleich vor der OP aus? Bereust du diesen Schritt oder würdest du es wieder tun?
"Fritz herbstelt wie fast alle Hörnchen, aber nur noch drei bis vier Monate also genau das Gegenteil zum Anfang. Alltag? Haha! Da gibt’s immer was Neues bei der Streifen-Polizei!
Aber jetzt nach fast fünf Jahren sind wir die besten Freunde, es war ein langer Weg bis heute. Ob er noch beißt in der Herbst-Phase kann ich nicht sagen und ich werde es auch nicht ausprobieren, aber vermutlich schon... ;) Ich respektiere sein artbedingtes Verhalten und werde ihn in dieser Zeit nicht unnötig stressen. Er versucht ja nur sein Revier und sein Futter zu verteidigen und das respektiere ich. Seinen irren Blick in dieser Zeit hat er übrigens behalten...
Sonst ist Fritz mittlerweile ein sehr liebes und zutrauliches Hörnchen geworden. Zwicken beim Spielen gehört dazu, aber ein richtiges Zwicken ist es nicht. Eher ein Festhalten mit seinen Zähnen, was auch in keinsterweise bösartig ist.
Im Gegensatz zu früher hat Fritz durch die Kastration zwar seine Bälle verloren, aber dafür vieles dazugewonnen. Er hat über das Jahr gesehen viel mehr Auslauf, ist wesentlich entspannter geworden.
Aber das alles möchte ich nicht ausschließlich von der Kastration abhängig machen. Sie hat gewiss einen großen Teil dazu beigetragen, aber die andere Hälfte liegt bei uns Haltern.

Wir müssen wissen, wo die Grenzen von unserem Tier sind, aber auch das Tier muss wissen, wo seine Grenzen sind.
Wenn diese gegenseitig geklärt sind und wir die des Tieres respektieren, wird es auch das Tier tun. Kleine Ausreißer gibt es dabei aber immer, z.b. Blumentöpfe – Ausnahmen bestätigen die Regel ;)"